Page 33 - Magazin "Bei uns in NRW" 01/2020
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 Kevin Kühnert, kritisierte das Duo die bisherige Führungsriege der SPD scharf. Es sei ein Grundfehler der SPD-Minister, in der Koalition die Kompromisse gleich mitzudenken, so das Mantra des Ex-NRW-Finanzministers. Man solle härter in die Verhand- lungen gehen, um Ur-Sozialdemokratisches durchzusetzen. Es- ken wollte den Koalitionsvertrag nachverhandeln und im Falle einer Weigerung von Seiten der Union aus der GroKo ausstei- gen. Beide Ideen haben den Realitätscheck nicht überlebt. Esken scheiterte an der Union, die nicht im Geringsten daran dachte, den Koalitionsvertrag aufzuschnüren und NoWaBo musste fest- stellen, dass er Kompromisse schon brauchte, um die eigenen Leute zusammen zu halten.
So kam nach dem Mitgliederentscheid die schnelle Kehrtwen- de. Von einem Ausstieg aus der GroKo war plötzlich keine Rede mehr. Der fauchende, linke SPD-Tiger, der im Mitgliederent- scheid noch punktete, landete als weichgespülter Bettvorleger.
Sozialdemokratischer Überbietungswettbewerb
Stattdessen wurden nach der Wahl stakkatoartig immer wieder neue Forderungen rausgehauen: Saskia Esken holte das Tempo- limit aus der sozialdemokratischen Mottenkiste. Angesichts der Bekanntgabe des Rekordüberschusses des Bundes im Januar lehnte die SPD-Co-Chefin Forderungen nach Steuersenkungen ab: „Das halte ich wirklich für einen gefährlichen Vorschlag, jetzt Steuern zu senken.“
Norbert Walter-Borjans erfand sogar eine neue Steuer und wollte die Wohnungsnot mit einer neuen „Bodenwertzuwachssteuer“ bekämpfen. Dass eine neue Steuer Investoren eher abschreckt und wohl kaum neuen Wohnraum schaffen wird, kümmerte den Ex-Finanzminister nicht. Auch in der Rentenpolitik wollte er die Beiträge erhöhen und plädierte für die Abschaffung der Beitrags- bemessungsgrenze. Bezieher hoher Einkommen sollten mehr in die Rentenkasse einzahlen. Bei genauem Hinsehen ein Taschen- spieler-Trick. Denn: Würde die Beitragsbemessungsgrenze ab- geschafft, würden zwar alle Besserverdienenden mehr Beiträge entrichten – sie hätten damit aber auch höhere Rentenansprü- che, somit stiegen auch die Kosten der Rentenversicherung.
Auf dem Höhepunkt des sozialdemokratischen Überbietungs- wettbewerbs fabulierte Saskia Esken ganz offen über den „de- mokratischen Sozialismus“. Dieser sei „ein Zielbild“ der Sozial- demokratie. Enteignungen oder Vergesellschaftungen könnten zur Schaffung einer gerechteren Gesellschaft beitragen, so die Vorsitzende.
Nicht einmal ignorieren
Zwar beschäftigten die Vorschläge des neuen SPD-Duos einige Wochen die Gazetten. Doch zum Glück hört den beiden Ober- sozis mittlerweile keiner mehr zu. Sie würden nicht einmal mehr
ignoriert, glaubt der Berliner Tagesspiegel: „Es schert die Etab- lierten, die Bundesminister, voran Vizekanzler Olaf Scholz, so überhaupt nicht, was ‚Eskabo‘ wollen, dass die einem schon fast leid tun. Ist ja auch bitter, wenn man denkt, man hat die Macht, aber der Rest über einen lacht.“
In Hamburg wollte man die SPD-Spitzen aus der Bundeshaupt- stadt nicht einmal im Wahlkampf sehen. Das Ergebnis: SPD-Amt- sinhaber Peter Tschentscher konnte mit einem pragmatischen Mittekurs den Regierungsauftrag erringen. Aber auch das hielt NoWaBo nicht davon ab, das Hamburger Ergebnis noch am Wah- labend auch auf den „klaren Kurs der Bundespartei“ zurückzu- führen.
Die Realität sieht anders aus. Denn bundesweit sind die Sozis nach wie vor weit von den 30 Prozent entfernt, die die neue Füh- rung noch im Dezember angepeilt hatte. Trotz der unzähligen inhaltlichen Vorschläge gaben im Januar-Deutschlandtrend 57 Prozent der Deutschen an, Saskia Esken gar nicht zu kennen. Ihre Beliebtheit liegt mit 13 Prozent noch hinter der von Alice Weidel. Norbert Walter-Borjans tauchte auf der Liste erst gar nicht auf. Dabei befinden sich die Deutschen in guter Gesellschaft. Selbst ihre direkte Kontrahentin um den SPD-Vorsitz, Hilde Mattheis, die zuvor auf zig Regionalkonferenzen mit den beiden um den richtigen Kurs der SPD gerungen hatte, konnte sich ihre Namen schon auf dem SPD-Parteitag am 6. Dezember 2019 in Berlin nicht mehr merken. Sie rief den SPD-Delegierten zu: „Mit Walter und Eskia werden wir es schaffen.“
Die Zeit schlägt für Scholz
Von der Seitenlinie melden sich derweil Ex-Kanzler Gerhard Schröder und Ex-Parteichef Sigmar Gabriel zu Wort. Vier, fünf Leute kämen für eine Kanzlerkandidatur der SPD infrage, so Schröder im Spiegel, und zählt die Namen Olaf Scholz, Lars Klingbeil, Hubertus Heil, Franziska Giffey und Rolf Mützenich auf. Die Namen Walter-Borjans und Esken fallen nicht. Die bei- den seien nur dazu da, um mit den fünf Genannten zu klären, wer es macht. Hat es jemals einen SPD-Chef gegeben, der keine Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur hatte?
Und Sigmar Gabriel hält den beiden – freilich ohne ihre Namen zu nennen – in seinem neuen Buch vor, in ihrem Wahlkampf um den Vorsitz den Eindruck vermittelt zu haben, die Koalition ver- lassen zu wollen, um am Ende doch zu bleiben. „Links blinken und dann rechts abbiegen verwirrt alle anderen Verkehrsteilnehmer.“
Und so scheint die Zeit für jemanden zu schlagen, der selbst schon als geschlagen galt: Olaf Scholz. Der Spiegel schreibt im Hinblick auf die SPD-Kanzlerkandidatur, es sei „Zeit für Olaf“ und die Zeit beschreibt die „Operation Kanzleramt“ des Vizekanzlers. Ob das diese „neue Zeit“ war, von der Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans bei ihrem Amtsantritt geträumt haben?
Im Visier | 21
Bei uns in NRW 01/20
Foto: Wikimedia Commons

















































































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