Deutschland modernisieren jetzt die Chancen der Krise nutzen

29.03.2021

Von Ralph Brinkhaus, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag

Wir stehen momentan in der schwersten Krise unseres Landes seit 75 Jahren. Es hat sich gezeigt, dass vieles gut ist in unserem Land. Die demokratischen Institutionen sind stabil. Das private Engagement sowohl in Familien wie auch im Ehrenamt ist groß. Und doch stellen wir schmerzhaft fest, dass wir mit unseren Institutionen und politischen Verfahren nicht nur aufgrund der Krise an unsere Grenzen stoßen. Wir sehen, dass andere Länder strategischer, konsequenter und agiler mit den Herausforderungen der Gegenwart umgehen. Wir sehen, dass die Verantwortungs- und Zuständigkeitsstrukturen der einzelnen föderalen Ebenen in der Krise eher ein Hemmnis als ein Vorteil sind. Wir sehen aber auch, dass wir bei Planungs- und Entscheidungsprozessen zu langsam und schwerfällig geworden sind, um auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angemessen zu reagieren, geschweige denn aktiv zu agieren. 

Gutes bleibt, alles andere muss geändert werden 

Unsere Staatlichkeit beruht im Wesentlichen auf Säulen, die zur Zeit ihrer Entstehung modern und innovativ waren. Das gilt für Verwaltungsreformen von Hardenberg und von Stein aus der Zeit der napoleonischen Befreiungskriege. Es gilt aber auch für unsere föderale Ordnung, die 1949 im Grundgesetz festgeschrieben wurde. Eine wirkliche Digitalisierung der Verwaltung in der Fläche hat darüber hinaus bislang nicht stattgefunden. 

Jetzt ist der Zeitpunkt, alles auf den Prüfstand zu stellen und Staat und Verwaltung rundum zu erneuern. Wir wollen dabei die unbestrittenen Vorteile der föderalen Ordnung und der kommunalen Selbstverwaltung in das 21. Jahrhundert tragen. Wir wollen aber auch Neues wagen, Institutionen und Verfahren in Frage stellen. Gutes bleibt, alles andere muss geändert werden. Diese Krise wäre eine vergeudete Krise, wenn wir nicht daraus lernen. Deshalb müssen wir die Modernisierung unseres Staates auf diese vier Bereiche konzentrieren: 

I. Strukturen auf den Prüfstand stellen

Zuerst müssen wir die Strukturen, Ebenen, Institutionen und Verantwortlichkeiten unseres Staates kritisch überprüfen: Was ist doppelt, was kann weg, was muss dazu kommen? Wir haben mit Bund, Ländern, Bezirksregierungen, Kreisen und Kommunen in manchen Bundesländern bis zu fünf Verwaltungsebenen, die an irgendeiner Stelle mitentscheiden. Das geht oftmals zu langsam – schon in normalen Zeiten. Geld ist fast immer ausreichend vorhanden – es kommt aber nicht rechtzeitig dort an, wo es am dringendsten gebraucht wird. Bund, Länder und Kommunen sind in diesen Strukturen nicht schnell und nicht effizient genug. Deshalb wollen wir die Strukturen unseres Staates überprüfen und – wo erforderlich – reformieren. Die einzelnen Aufgaben des Staates und die zugrundeliegenden Prozesse müssen klar den föderalen Ebenen des Staates unter Einbeziehung der Kommunen zugeordnet werden. So vermeiden wir Doppelstrukturen und unklare Verantwortlichkeit. Jede staatliche Ebene braucht außerdem die Mittel, um ihre Aufgaben optimal erfüllen zu können.

Deshalb müssen wir den Finanzbedarf für die Erfüllung der Aufgaben neu feststellen. Daraus ergibt sich dann die Zuweisung von Steuereinnahmen bzw. von Steuererhebungskompetenzen
auf die einzelnen Aufgabenträger. 

II. Verwaltungshandeln modernisieren und beschleunigen.

Alles in allem hat unsere Verwaltung auch in der Krise überwiegend gut funktioniert. Gleichzeitig hat die Krise aber auch wie ein Brennglas klaren Handlungsbedarf offengelegt. Wenn der Staat von privaten Arbeitgebern Home Office für alle verlangt, aber in Ländern wie Berlin nur ein Bruchteil der Mitarbeiter überhaupt über Dienstlaptops verfügt. Wenn Senioren in ihrem Bundesland einen Impftermin buchen wollen, aber selbst mit Unterstützung der Enkel an Warteschleifen und abstürzenden Internetseiten scheitern. Deshalb müssen wir die Gewissheiten des Verwaltungshandelns einer umfassenden Überprüfung unterziehen. Hierarchien, Entscheidungsabläufe, Schriftgutverwaltung, Vergabewesen müssen wir zeitgemäß weiterentwickeln. Planungs- und Genehmigungsverfahren müssen wir konsequent entschlacken und dann beschleunigen. 

Die Beamten und Angestellten in der Verwaltung machen einen guten Job und haben sich in der Krise als verlässliche, zuverlässige Kraft erwiesen. Gerade für den überdurchschnittlichen Einsatz in den letzten Monaten zollen wir ihnen Dank und Respekt. Gleichwohl wissen viele von uns, wie Verwaltungsstrukturen auch gute Ideen ausbremsen und notwendige Initiativen im Sande verlaufen lassen. Das können wir uns nicht mehr leisten. Wir brauchen mehr Raum für neue, agile Arbeitsweisen und -methoden in der Verwaltung. Die Expertise von Seiteneinsteigern müssen wir nutzen und den Wechsel von der Wirtschaft in die
Verwaltung und zurück Realität werden lassen. 

III. Unseren Staat grundständig digitalisieren

Bund, Länder und viele Kommunen haben in den letzten Jahren intensiv am Fundament für eine umfassende Digitalisierung gearbeitet. Wichtige Projekte, wie das Onlinezugangsgesetz und die Registermodernisierungn haben gute und wichtige Grundlagen geschaffen oder werden sie schaffen. Aber gerade in der Krise wäre es gut gewesen, wenn wir schneller und schon weiter gewesen wären. Wir können uns deshalb keine weiteren Verzögerungen leisten. Meine Zielvorstellung für das Modernisierungsjahrzehnt der 20er Jahre ist deshalb die Digitalisierung aller wesentlichen Verwaltungsdienstleistungen. Die Verwaltung muss jeden Bürger digital mit den notwendigen Dienstleistungen versorgen können: Für jede Generation. Zu jeder Zeit und an jedem Ort. Sicher, benutzerfreundlich und barrierefrei. 

Dabei müssen wir die Themen Datenschutz und Cybersicherheit neu denken: Die Regeln zum Datenschutz müssen wir entschlacken. Im Kern unserer Überlegungen muss stehen, wie wir Daten für bessere Dienstleistung und Versorgung der Bürger nutzen können – und nicht, Datennutzung weitestmöglich zu verbieten. Gleichzeitig müssen wir den Bereich Cybersicherheit priorisieren, um staatliche und private Infrastrukturen zu schützen. 

IV. Bevölkerungsschutz stärken

Viertens und zuletzt: Die Fähigkeiten von Bund und Ländern im Bevölkerungsschutz müssen wir besser verknüpfen und somit insgesamt deutlich stärken. Dafür sollten wir die Lektionen aus der Coronakrise systematisch erheben und kritisch reflektieren. 

Gefahren für die Bevölkerung können im Cyberraum, durch Klimawandel, durch Überschwemmungen oder im Gesundheitsbereich entstehen. Die nächste große Krise kommt vielleicht erst in 20 Jahren, vielleicht aber schon in 2 Jahren. Wir müssen vorbereitet sein. Wir müssen den Staat so aufstellen, dass er für unvorhergesehene Katastrophen gewappnet ist. Im Bund müssen wir eine zentrale Schaltstelle schaffen. Wir müssen Krisen üben, Automatismen schaffen. Wir brauchen einsatzbereite Krisenstäbe, die in der Fläche und mit dem betroffenen Personal üben. So wie unsere Bundeswehr im Kalten Krieg gut ausgebildet und mit einer starken Reserve ausgestattet in ständiger Bereitschaft war. So müssen wir jetzt die Strukturen zum Schutz der Bevölkerung aufstellen. Die Bundeswehr spielt dabei eine wichtige Rolle, aber auch THW und freiwillige Feuerwehren und weitere Bereiche des Ehrenamtes. 

Die verfassungsrechtlichen Kategorien für den Krisenfall entstammen einer Zeit, in der militärische Auseinandersetzungen die wahrscheinlichsten Krisenauslöser waren. Die Zeit ist darüber hinweggegangen. Deshalb müssen wir uns für aktuelle Krisen wappnen. Zum Beispiel sollten wir uns Artikel 35 des Grundgesetzes genauer ansehen. Wir müssen in der Lage sein, im Krisenfall schnellstmöglich Kräfte überall dort in Deutschland einzusetzen, wo es erforderlich ist. Hier müssen wir klare Strukturen und eindeutige Abstimmungswege zwischen Bund, Ländern und Kommunen schaffen.

Ausblick

Diese vier Schritte für eine Modernisierung des Staates sind meine Lehren aus der Pandemie. Wir stehen am Anfang eines Modernisierungsjahrzehnts. Wir sollten die Krisenfestigkeit unseres Landes stärken und ausbauen. Da gibt es noch sehr viel zu tun. Wir müssen jetzt damit anfangen.