Wahlanalyse: „Wir wollen unterscheidbar sein“

13.09.2012

Gemeinsam mit allen Kreisvorsitzenden, Wahlkreiskandidaten und Wahlkämpfern vor Ort hat die CDU Nordrhein-Westfalen Anfang September in Duisburg den vergangenen Landtagswahlkampf analysiert. Über Verlauf und Ergebnisse informierte der Generalsekretär die Funktions- und Mandatsträger der Partei in einem Brief, den Sie hier nachlesen können.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde,

beim Workshop der CDU Nordrhein-Westfalen zur Wahlanalyse der vergangenen Landtagswahl in der letzten Woche hatte unsere Parteibasis das erste Wort, bevor externe Fachleute ihren Beitrag zur Analyse geleistet haben. Rund 100 Parteimitglieder haben in Duisburg die Wahlniederlage der CDU bei der Landtagswahl am 13. Mai bewertet und Gründe für das schmerzliche Ergebnis zusammengetragen. Bei der darauf folgenden Klausurtagung der CDU Landtagsfraktion in Krefeld wurde die Wahlanalyse fortgesetzt.

Beides waren für uns Tage des Zuhörens und Lernens, denn die persönlichen Erfahrungen unserer Parteimitglieder und der Landtagsabgeordneten standen jeweils im Mittelpunkt. Für eine ehrliche und offene Analyse war uns vor allem die Meinung derjenigen wichtig, die für uns an den Wahlkampfständen gestanden haben.

Was ist falsch gelaufen? Was können wir in den nächsten Wahlkämpfen anders und besser machen?

Bereits mit der Einladung zum Workshop hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Duisburg Gelegenheit, uns ihre negativen bzw. positiven Erfahrungen im Wahlkampf schriftlich mitzuteilen. Dieses Angebot wurde von vielen genutzt. Für die Vorarbeit, mit teils sehr detaillierten Berichten, sagen wir an dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops haben viele Punkte herausgearbeitet, die ein besseres Ergebnis bei der Landtagswahl verhindert haben. Im Folgenden listen wir
Ihnen die Punkte, beginnend mit den am häufigsten Genannten auf:

  • Die CDU Nordrhein-Westfalen zielte mit ihren Argumenten zu häufig auf den Kopf statt auf den Bauch. Dieser Mangel an emotionalen Themen führte in der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner zu Kommunikationsschwierigkeiten bei der Ansprache der Bürgerinnen und Bürger.
  • Die Beteiligung der Basis an politischen Entscheidungsprozessen sollte intensiviert werden. Viele Parteimitglieder wünschen sich eine stärkere Mitwirkung in der Parteiarbeit, gerade auch bei der Erarbeitung von wahlkampfrelevanten Themen.
  • Die Einbindung unserer kommunalen Familie in die gesamte Parteiarbeit sollte verstärkt werden. Unsere ehrenamtlich tätigen und engagierten Mitglieder sahen
  • ihre Anliegen nicht genügend berücksichtigt und bemängeln fehlende Wertschätzung.
  • Es sollte eine bessere Vorbereitung/Schulung für die Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer vor Ort geben, so dass sie in der Argumentation (Wording), im Bürgerkontakt besser gerüstet sind.
  • Das „Nicht-Bekenntnis“ des damaligen CDU-Spitzenkandidaten auch im Falle einer Wahlniederlage in Nordrhein-Westfalen zu bleiben, hat die eigenen Wahlkämpfer vor Ort verunsichert und demotiviert.
  • Das Thema Verschuldung sei richtig gewählt worden. Als großes Defizit aber wird das Fehlen eigener konkreter Sparvorschläge bewertet.
  • Das Thema Wirtschaftskompetenz sollte in Zukunft stärker profiliert werden.
  • Die CDU Nordrhein-Westfalen sollte ihre Politik auf allen Ebenen wieder besser aus ihren politischen Grundsätzen heraus erklären. Wir sollten unterscheidbar sein gegenüber dem politischen Mitbewerber.
  • Die zum Teil negative Wahrnehmung der Auseinandersetzung um Themen innerhalb der Bundesregierung/Regierungskoalition in Berlin hatte auch negative Auswirkungen auf die CDU in Nordrhein-Westfalen bei den Wählerinnen und Wählern (Stichwort: Betreuungsgeld etc.).
  • Bei der Vernetzung der CDU im vorpolitischen Raum darf sich der Dialog mit Vereinen und Verbänden nicht nur auf Problembewältigung beschränken, sondern hier muss die CDU wie selbstverständlich präsent sein. Die Partei soll wieder von unten nach oben aufgebaut werden.
  • Die Kampagnenfähigkeit der Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer vor Ort sei unzureichend gewesen – zum Teil auch durch mangelndes Selbstbewusstsein bezogen auf die eigenen Stärken der CDU. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, einen Prozess der Selbstvergewisserung zu starten. Jedes Parteimitglied muss die Frage „Wofür steht die NRW-CDU?“ beantworten können. Erst dann wird uns die Mobilisierung der Parteibasis wieder gelingen.
  • Es fehlte an Themen, die die Zukunft für Senioren, insbesondere für Frauen über 65, in den Fokus stellten. Bei dieser Wählerschaft hat die CDU erheblich mehr Potenzial.

Die Analyse externer Fachleute

Der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Gerd Langguth bestätigte viele Wortmeldungen der vorherigen Aussprache: Der CDU-Spitzenkandidat sei auch daran gescheitert, dass die SPD-Ministerpräsidentin weitaus höhere Kompetenz- und Sympathiewerte aufgewiesen habe. Er plädierte dafür, dass sich die CDU wieder auf ihren Charakter als Volkspartei besinnen müsse: Mitglieder und die Vereinigungen der CDU sollten ebenso wie die Flügel stärker in Erscheinung treten.

Auch Prof. Manfred Güllner vom Meinungsforschungsinstitut Forsa bestätigte vieles, was vorher in der Aussprache der Kreisvorsitzenden, Kreisgeschäftsführer und Wahlkämpfer angesprochen wurde. Für ihn zeigte sich eine erhebliche Mobilisierungsschwäche der CDU Nordrhein-Westfalen bei der eigenen Anhängerschaft, was auch in den schwachen Werten des Spitzenkandidaten begründet sei. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2009 sei rund ein Drittel der Wähler verloren gegangen. Die Fokussierung auf abstrakte Finanzpolitik sei falsch gewesen, die Menschen seien viel stärker über die persönlichen Auswirkungen der Finanznot besorgt gewesen. Er riet davon ab, sich künftig zu einseitig auf „grüne Themen“ oder allein auf das konservative Profil zu stützen.

Neubeginn in der CDU Nordrhein-Westfalen

Das Ergebnis der Wahlanalyse in Partei und Fraktion ist für uns zugleich auch Abschluss der Diskussion zur vergangenen Landtagswahl und Grundlage für den Neubeginn, um schnell wieder auf die Füße zu kommen. Erst die eindeutige Benennung der von uns ausgemachten Fehler und die Möglichkeit für alle Mitglieder der CDU Nordrhein-Westfalen, das Ergebnis an ihren eigenen Erfahrungen zu messen, erzeugt die notwendige
Transparenz und ein ausreichendes Maß an Sicherheit, um die vor uns liegenden Herausforderungen besser gerüstet zu bewältigen.

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, die Distanz zwischen Bevölkerung und Politik zu verringern. Es ist jetzt notwendig, Handlungskonzepte für Partei und Fraktion mit Ihrer Hilfe Schritt für Schritt in praktische Politik umzusetzen. Die heute begonnene Landtagsdebatte über die Regierungserklärung der SPD-Ministerpräsidentin markiert das Ende der Vergangenheitsbewältigung. Wir wollen als Opposition eigene Konzepte
vorlegen: Beim Haushalt ebenso wie bei der Gemeindefinanzierung oder bei der U-3-Betreuung. An dieser Stelle wird die Landtagsfraktion ein wichtiger Motor sein, um uns als Regierung von morgen in Stellung zu bringen.

Auf die „Tage des Zuhörens“ müssen „Tage des Handelns“ folgen. Den Blick bereits jetzt in Richtung Bundestagswahl 2013 und Kommunalwahl 2014 zu richten ist enorm wichtig! Die Besuche unseres Landesvorsitzenden bei der Wirtschaft und den Unternehmen im Lande verlaufen sehr erfolgreich. Mit einem Reformkongress im November wollen wir uns wieder selbst vergewissern, was unsere Grundsätze sind. Wir dürfen nicht beliebig sein, sondern sollten unterscheidbar sein.

Diesen Weg aus unserer Oppositionsrolle heraus können wird nur gemeinsam gehen, als große CDU-Familie, die zusammensteht. Lassen Sie uns mit der Arbeit beginnen!

Mit den herzlichsten Grüßen aus der Wasserstraße

Bodo Löttgen