Nordrhein-Westfalen braucht einen neuen Aufbruch

20.01.2016

Gänsehautmoment schon während der Begrüßungsrede beim Neujahrsempfang in Düsseldorf: Gemeinsam mit Armin Laschet bittet Generalsekretär Bodo Löttgen die Ortsverbandsvorsitzende aus Köln-Braunsfeld/Müngersdorf, Marliese Berthmann, auf die Bühne. Bei dem abscheulichen Attentat auf Henriette Reker, einen Tag vor ihrer Wahl zur neuen Kölner Oberbürgermeisterin, hatte sich Berthmann schützend vor sie gestellt und wurde dabei selbst schwer verletzt. Als Anerkennung für ihren Mut erhielt sie eine Urkunde – dabei sei sie eigentlich keine Heldin, so Berthmann. Dennoch fordert sie die Anwesenden auf, für die Werte der CDU entschieden einzutreten: „Lassen Sie uns Helden sein!“

Ebenso wie die neuen Oberbürgermeister von Essen und Bonn, Thomas Kufen und Ashok-Alexander Sridharan, sowie Politiker aus Kommunen, Land, Bund und Europa waren zahlreiche Vertreter aus Verbänden, gesellschaftlichen Gruppen, Wirtschaft und Kirchen unter den gut 850 Gästen im Robert-Schumann-Saal. Für die musikalische Untermalung des Neujahrsempfangs sorgte die „Jugend musiziert“-Siegerin Charlotte Hahn, 18 Jahre, aus Münster mit ihrem Marimbaphon.

Woelki: Für unsere Werte eintreten
Gastredner Rainer Maria Kardinal Woelki, Erzbischof von Köln, stellte die Würde des Menschen in den Mittelpunkt seiner Rede. Vor dem Hintergrund des 25. Jubiläums des Mauerfalls erinnerte er daran, dass eine Mauer zwischen Ost und West heute kaum mehr vorstellbar sei. Dennoch müssten wir heute neu lernen, Mauern zu überwinden – die Mauern in den Herzen und Köpfen vieler Menschen: „Diese Mauern heißen Obergrenzen, Mittelmeer, Hetze und Gewalt gegen Asylbewerber.“ Zurecht sei man stolz auf das christliche Abendland, so Woelki. Aber: „Das retten wir nicht, indem wir Grenzen dicht machen, sondern indem wir für unsere Werte, Grundsätze, für die Würde jeder Frau, jedes Mannes und jedes Kindes eintreten, sie achten und schützen.“

Kein Platz für Diskriminierung und Rassismus!
Die „gegen unser offenes Lebensgefühl gerichteten“ Vorfälle in der Silvesternacht in Köln und anderswo verurteilte Woelki scharf: Die Würde der betroffenen Frauen sei von den „marodierenden Männerhorden in schändlicher Weise missachtet“ worden. Gott stelle sich, so seine Überzeugung, diesen Ausschreitungen entgegen und „er verlangt auch von uns, dass wir uns dem entgegenstellen und die Würde so vieler Frauen verteidigen“. Woelki warnte aber auch vor Vorverurteilungen: „Das ist ein politisches Süppchen, von dem wir nicht mehr essen und schmecken, es nicht einmal mehr riechen wollen.“ In unserer Gesellschaft sei kein Platz für Diskriminierung und Rassismus. Hasskommentare und Hetze in den Sozialen Medien nannte er „unverantwortlich, undemokratisch und unmenschlich“.

Einmischung als Pflicht der Kirchen
Zum Themenkomplex Kirche und Staat nannte es Woelki eine Pflicht der Kirchen, sich in öffentliche Debatten einzumischen und Zeichen zu setzen. Als Beispiel führte er hier unter anderem an, dass der Kölner Dom während einer Demonstration der sogenannten Pegida die Beleuchtung abgeschaltet hatte: „Der Dom hat sich diesen Demonstranten verweigert und ihnen eine bildstarke Kulisse genommen.“

Das „C“ ist und bleibt Leitbild und Anspruch
Zu Beginn seiner Rede dankte der CDU-Landesvorsitzende Armin Laschet Kardinal Woelki für seine Worte zur Würde des Menschen. Auch in der Diskussion um das Grundsatzprogramm der CDU Nordrhein-Westfalen, das im vergangenen Jahr beschlossen wurde, habe das christliche Menschenbild stets die zentrale Rolle gespielt. Danach sehe die CDU den Menschen zugleich als Individuum und als Gemeinschaftswesen. Laschet hob auch die Rolle der Kirchen in der Gesellschaft heraus: „Unser Land wäre ärmer, wenn es keine christlichen Schulen, Krankenhäuser oder Kindergärten gäbe.“

Flüchtlingszahlen reduzieren – Schutzbedürftigen helfen
Der CDU-Landesvorsitzende nahm Bezug auch auf das bestimmende Thema im Bund, in den Ländern und vor allem in den Kommunen: die Flüchtlingssituation. Laschet stellte sich demonstrativ hinter die Politik der Bundeskanzlerin und erläuterte die klare Handlungsstrategie der CDU. Er stellte klar, dass Menschen, die nicht politisch verfolgt seien, kein Anrecht auf Asyl hätten und das Land verlassen müssten. Deutschland könne nicht jedes Jahr 1 Million Menschen aufnehmen.

Wir brauchen mehr Europa!
Damit die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, sinke, brauche man ein europäisches Konzept, so Laschet. „Wir brauchen mehr Europa. Wir werden die Flüchtlingsfrage nicht national lösen können.“ Er warnte davor, dass das Schengener Abkommen, das stationäre Grenzkontrollen an den Binnengrenzen teilnehmender Länder abschaffte, auf dem Spiel stehe. Das bedrohe Arbeitsplätze in Nordrhein-Westfalen, denn nordrhein-westfälische Firmen seien auch davon abhängig, Produkte in den europäischen Binnenmarkt exportieren zu können – ohne Grenzkontrollen und Zollhäuschen. Laschet: „Wir müssen die Zahl der Flüchtlinge reduzieren, ohne Schengen infrage zu stellen.“ Ähnliches gelte für die Terrorismusbekämpfung: „Der Nationalstaat wird das nicht lösen, wir brauchen europäische Kooperation zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus, sonst sind wir verloren!“

Die Innere Sicherheit muss sichergestellt werden!
Selbstverständlich nahm Laschet auch zu den Geschehnissen in der Silvesternacht in Köln Stellung. Das Verhalten der Täter, die überwiegend Asylbewerber waren, verurteilte Laschet scharf: „Niemand kann glauben, dass er, wenn er hierhergekommen ist, unsere gewachsenen Werte infrage stellen kann.“ Zugleich machte er deutlich, dass die abscheulichen Taten auch die Folge eines Staatsversagens seien. Die Polizei habe dem massenhaften Ausbruch sexualisierter Gewalt ohnmächtig gegenübergestanden und sei nicht in der Lage gewesen, die Bürgerinnen vor Übergriffen zu schützen. „Es darf in Nordrhein-Westfalen keine No-Go-Areas geben, wo sich Frauen, Männer oder Kinder immer oder zeitweise nicht sicher fühlen“, machte Laschet deutlich und warf der Landesregierung schwere Versäumnisse vor. Die Polizei müsse personell wie technisch so ausgestattet werden und die nötige Rückendeckung der Politik erhalten, dass sie die Innere Sicherheit im Land sicherstellen kann.

Nordrhein-Westfalen braucht einen neuen Aufbruch!
In Nordrhein-Westfalen sei unter der aktuellen rot-grünen Landesregierung leider vieles nicht zum Besten bestellt. Auch in anderen Politikbereichen setze die Landesregierung falsche Prioritäten, so Laschet. Denn auch bei der Finanz- und Wirtschaftskraft, im Vergleich der Bildungssysteme und bei der Infrastruktur liege Nordrhein-Westfalen hinten. Die Folge sei, dass Nordrhein-Westfalen schlechter vorbereitet ist auf die aktuellen Herausforderungen als andere Bundesländer. Als Beispiel führte Laschet die Bildungspolitik an. Die Schulen seien Hauptorte der Integration der zu erwartenden mindestens 40.000 Flüchtlingskinder. Deshalb seien die aktuellen Debatten über Schulschließungen nicht richtig. Zum Thema Unterrichtsaufall ergänzte Laschet, es sei unverständlich, warum dieser angeblich nach wie vor nicht erfasst werden könne: „Mit Smartphones kann heute jeder messen, wie viele Schritte man macht und wie man schläft, aber es soll nicht möglich sein, einzugeben, wie viel Unterricht ausfällt? Das sind billige Ausreden und Ausflüchte!“ Zum Schluss seiner Rede resümierte der CDU Landesvorsitzende: „Nordrhein-Westfalen braucht einen neuen Kurs, einen neuen Aufbruch! Das ist die große Aufgabe für 2017 – und in 2016 werden die Grundlagen dafür gelegt.“ Mit dem Singen von Europa- und Nationalhymne klang der Neujahrsempfang mit vielen Begegnungen und Gesprächen aus.