Reformkongress in Köln: Gelungener Auftakt zur Programmdebatte

13.04.2013

Mit dem Reformkongress am Samstag (13. April 2013) im Kölner Gürzenich hat die NRW-CDU den Grundsatzprogrammprozess begonnen. Wofür steht die CDU, was zeichnet die nordrhein-westfälische CDU aus?

Diese Frage solle, beginnend mit dem Reformkongress, auf acht Regionalkonferenzen sowie bei zahlreichen Folgeveranstaltungen in Kreis- und Ortsverbänden diskutiert und das Ergebnis zu Papier gebracht werden, stellte der Landesvorsitzende Armin Laschet gleich zu Beginn seiner Grundsatzrede klar. „Über den Zeitraum eines Jahres werden wir eindeutige, unverwechselbare Standpunkte zu den gesellschaftlich relevanten Fragen entwickeln.“

Selbstvergewisserung und Selbstbewusstsein

Zu diesem Prozess der Selbstvergewisserung, aus dem die Partei im Wortsinn neues Selbstbewusstsein entwickeln werde, gehöre aber auch, sich der eigenen Wurzeln zu vergewissern. So wurden am 1. Juli 1945 – noch vor der Gründung Nordrhein-Westfalens – die Kölner Leitsätze vorgelegt, die die Kernelemente christdemokratischer Programmatik wie Menschenwürde, den besonderen Schutz der Familie, Pressefreiheit, die föderale Struktur des Landes und die Bejahung des Privateigentums mit sozialer Bindung formulierten. Mit dem Ahlener Programm 1947 und den Düsseldorfer Leitsätzen 1949 wurde dann die Soziale Marktwirtschaft ganz maßgeblich mitentwickelt. Stellvertretend für die vielen Persönlichkeiten, ohne die es keinen demokratischen Aufbruch aus den menschlichen, moralischen und materiellen Ruinen des Zweiten Weltkrieges und der Nazi-Diktatur gegeben hätte, stehen Konrad Adenauer und Karl Arnold. Laschet: „Die nordrhein-westfälische CDU war lange Jahre ein zentrales Element der Union, qualitativ wie quantitativ. Heute beziehen wir uns zu oft nur auf das Quantitative, das eine Drittel der Parteitagsdelegierten, aber wir müssen das Qualitative wieder mehr betonen und stärken. Auch dazu soll dieser Prozess der Selbstvergewisserung beitragen.“

Christliches Menschenbild neu erklären

Laschet betonte das christliche Menschenbild als Grundwert der Union. Das müsse aber in einem Land, in dem in manchen Gegenden getaufte Christen zur Minderheit gehörten, anders und stärker erklärt werden: „Das christliche Menschenbild bedeutet, ein ökumenisch-kulturell, aber nicht dogmatisch geprägtes Bild vom Menschen zu haben, der weder als Kollektiv, noch als Individuum wahrgenommen wird, sondern als Person. Dieser Person trauen wir zu, von ihrer Freiheit – die aber Grenzen hat, sonst wäre es Anarchie – verantwortlich Gebrauch zu machen.“ Konkret: Das Erhöhen von Hartz IV sei keine gute Sozialpolitik, stattdessen müsse es darum gehen, Menschen aus Hartz IV herauszuholen, ihnen zu helfen, wieder Verantwortung zu übernehmen, dem Einzelnen ermöglichen, sich seine Wünsche aus eigener Kraft zu erfüllen. Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität stehen dabei in einer unmittelbaren Verbindung zueinander. Keiner dieser Begriffe sei ohne die beiden anderen denkbar und begründe auch das christlich-demokratische Staatsverständnis: Jeder Mensch ist unterschiedlich, und die unterschiedlichen Begabungen gelte es zu fördern statt zu vereinheitlichen. Hier verlaufe auch die Trennlinie zu den politischen Mitbewerbern.

Nordrhein-Westfalen als Aufsteigerland

Von Nordrhein-Westfalen hat Laschet dabei die Vision als „Aufsteigerland“: Die Menschen sollen Freiräume und Möglichkeiten erhalten, um sich weiterzuentwickeln und aufzusteigen: „Ohne Ellenbogen, aber mit Willenskraft, Wissensdurst, Eigeninitiative und sozialer Kompetenz.“ Das Prinzip des Aufstiegs müsse dabei von der Kita bis zum Meisterbrief, von der Grundschule bis zur Universität, von der Ausbildung bis zur Promotion gelten und alle umfassen: vom Hartz-IV-Empfänger und Migrantenkind bis zum Handwerker und Akademiker. Laschet: „Wir geben niemanden verloren und jedem eine Chance. Der Staat muss hierfür die Voraussetzungen schaffen und Hilfe geben, wo es nötig ist. Aber er kann und darf nicht überall für die gleichen Ergebnisse sorgen wollen.“ Zum Abschluss seiner Grundsatzrede betonte der Landesvorsitzende, dass alle diese Grundwerten und Begrifflichkeiten – Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität, christliches Menschenbild und Soziale Marktwirtschaft – die Union bildeten: „Jeder Christdemokrat hat seine eigene Priorität, aber uns alle eint das Bekenntnis zu unseren Grundsätzen. In diesem Sinne freue ich mich auf Ihre Impulse für unseren Programmprozess!“

Absolventen der Zukunftsakademie werden geehrt

So wichtig der Blick zurück ist, um sich seiner selbst zu vergewissern, so wichtig sind Köpfe und Ideen, die die Zukunft gestalten. Vor diesem Hintergrund hat Generalsekretär Bodo Löttgen im Rahmen des Reformkongresses die insgesamt 57 Absolventen der dritten Auflage der Zukunftsakademie der CDU Nordrhein-Westfalen geehrt und verabschiedet. Mehr als 18 Monate lang haben sie dabei ein anspruchsvolles Seminarprogramm mit den Partnern der NRW-CDU, der Konrad-Adenauer- bzw. der Karl-Arnold-Stiftung, sowie politiknahe Praktika auf Bundes-, Landes- und Kreisebene der CDU absolviert. Löttgen: „Der Abschluss der „Zukunftsakademie NRW“ stellt eine überdurchschnittliche Leistung und ein außergewöhnliches Engagement der Stipendiatinnen und Stipendiaten im Rahmen der politischen Arbeit der CDU Nordrhein-Westfalen dar.“ Zudem betonte Löttgen, dass nicht nur die jungen Menschen zwischen 18 und 28 Jahren, die in der „Zukunftsakademie NRW“ mitgearbeitet haben, von diesen Programmen durch eine Stärkung ihrer Persönlichkeit sowie ihrer Methoden- und Umsetzungskompetenz bei politischen Vorhaben profitieren. Auch der Partei nutze dieses Programm durch die Bildung eines breiten Netzwerkes, auf das der Landesverband im Falle von Vakanzen im hauptamtlichen wie im ehrenamtlichen Bereich jederzeit zurückgreifen kann. „Der Erfolg der Stipendiaten und damit natürlich auch der Erfolg der Zukunftsakademie Nordrhein-Westfalen zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind, junge Menschen an unsere Partei zu binden“, so Löttgen.

Udo Di Fabio: Christliches Menschenbild offensiver vertreten

Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht und heutige Professor Udo Di Fabio lobte die NRW-CDU, dass sie sich in ihrer Oppositionsrolle intensiv mit der „eigenen Selbstfindung für spätere Regierungszeiten“ befasse. In seiner an der Grundidee einer „Kultur der Freiheit“ orientierten Rede forderte er von den Christdemokraten aber auch, nicht zu häufig abwägende, defensive Haltungen einzunehmen, sondern das christliche Menschenbild, das sehr nah am Menschenbild der Verfassung sei, offensiver nach vorne zu stellen. Rechtsphilosophisch beschäftigte er sich mit dem „sozialen Rechtsstaat“, der nach einer Ordnung zu suchen habe, die dem Menschen freie Entfaltung ermögliche. Konkret dürfe nicht der Staat die Höhe der Löhne bestimmen, sondern müsse den Rahmen geben für eine Einigung der Tarifpartner. Zum Thema Kirche und Staat bezeichnete Di Fabio die CDU als „wahrhaft multikulturelle Partei“ in dem Sinne, dass sie verlange, dass in einer Gesellschaft jeder Respekt vor dem Glauben und der Weltanschauung der anderen haben solle. Di Fabio stellte klar, das diese „wohlwollende Neutralität gegenüber Religionsgruppen“ nicht mit Laizismus verwechselt werden dürfe: „Diese Neutralität heißt nämlich auch, muslimischen Religionsunterricht unter staatlicher Kontrolle in Schulen und nicht in Hinterhöfen zu machen.“ Ebenfalls äußerte er sich zur Rolle von Kirche und Staat in Bezug auf gesellschaftliche Einrichtungen: „Es wird vielfach übersehen, welchen, Beitrag die Kirchen über die Kindergärten für die Zivilgesellschaft erbringen“, so Di Fabio, der sich selbst in einer Stiftung engagiert, die drei Kindergärten unterhält. Er konnte berichten, dass viele Muslime ihre Kinder in diese katholischen Kindergärten schicken wollten: „weil dort Werte vermittelt werden.“ Abschließend stellte der Verfassungsrechtler klar, dass eine freiheitliche Gesellschaft bedeute, dass jeder Einzelne die Pflicht habe, sich zu entfalten. Er verglich es mit der Situation beim Druckabfall im Flugzeug: Zunächst solle man selber für Sauerstoffzufuhr sorgen – denn nur wer „Sauerstoff“ habe, sei in der Lage, anderen zu helfen.

Lammert: Über Vergangenheit im Klaren sein

In der anschließenden Diskussionsrunde mit Laschet und Di Fabio stellte der Spitzenkandidat der NRW-CDU für die Bundestagswahl und Bundestagspräsident Norbert Lammert ein weiteres Mal klar, dass eine Partei, die sich Gedanken über die Zukunft mache, sich über die eigene Vergangenheit im Klaren sein müsse. Lammert: „Niemand kann aus seiner Biographie aussteigen, und je ausgeprägter die Fehlurteile in der Vergangenheit waren, desto nachhaltiger prägen sie die Gegenwart.“ Auf der Grundlage der Reden von Laschet und Di Fabio wurde vor allen Dingen über das Verhältnis von Freiheit und Regeln, über die gesellschaftlichen Aufgaben der Kirche, die der Staat alleine nicht leisten könne, und über die Schwierigkeit eines diskriminierungsfreien Abstandsgebot zwischen dem besonderen Schutz von Ehe und Familie gegenüber dem Recht auf freie Entfaltung des Einzelnen diskutiert. Die Diskussionsrunde wurde anschließend noch erweitert: In zwei Fragerunden hatten jeweils drei Mitglieder die Möglichkeit, ihre Fragen zu stellen. Die frühere Bundesfamilienministerin Ursula Lehr diskutierte über die Folgen des demografischen Wandels, während sich Werner Damblon und Thomas Traub zum Profil der CDU, konkret der CDU als politische Heimat nicht nur für Christen, sondern auch für Juden, Muslime und Konfessionslose, die eine wertegebundene Politik mitgestalten wollen, äußerten. In der zweiten Runde stellte Christiane Sippel ihre Frage zur Bildungspolitik, konkret zur Inklusion von behinderten Kindern in Schulen, während Carla Neisse-Hommelsheim ihren Standpunkt zur politischen Teilhabe von CDU-Mitgliedern, insbesondere Frauen, deutlich machte. Mario Colombo-Benkmann, der ebenso wie Udo Di Fabio italienische Wurzeln hat, war der Umfang mit den Herausforderungen von Migration und Integration ein Anliegen.

Nächster Schritt: Regionalkonferenzen

Nach dem gelungenen Auftakt wird der Grundsatzprogrammprozess zunächst bis zu den Sommerferien in Regionalkonferenzen in den acht Bezirksverbänden der nordrhein-westfälischen CDU fortgesetzt. Die Regionalkonferenzen, zu denen jeweils prominente Redner eingeladen wurden, um Denkanstöße zu geben, sollen der Partei helfen, gemeinsame Standpunkte zu formulieren. Dazu der Landesvorsitzenden Armin Laschet: „Dieses Programm, welches wir innerhalb einen Jahres erarbeiten und diskutieren wollen, wird CDU pur sein. Es wird eine Definition sein, was wir wollen und wer wir sind.“ Nach dem Bundestagswahlkampf geht es dann in die konkrete Programmarbeit. Der Grundsatzprogrammprozess soll im Frühjahr 2014 mit einem Landesparteitag abgeschlossen werden.

Regionalkonferenzen (genaue Termine und Veranstaltungsorte werden noch bekanntgegeben):

  • „Gibt es eine christliche Politik?“, Bezirksverband Mittelrhein
  • „Wie verändern internationale Entwicklungen NRW?“, Bezirksverband Bergisches Land
  • „Gelingt sozialer Aufstieg durch Bildung?“, Bezirksverband Niederrhein
  • „Wie sichern wir Lebensqualität im ländlichen Raum?“, Bezirksverband Münsterland
  • „Sind Ökonomie und Ökologie versöhnt?“, Bezirksverband Aachen
  • „Ist das Industriezeitalter tatsächlich zu Ende?“, Bezirksverband Ruhr
  • „Was gefährdet unsere Sicherheit?“, Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe
  • „Hat Familie Zukunft?“, Bezirksverband Südwestfalen